Loyalty, ein alter Hut? Keineswegs!

Mit effizienten Kundenbindungsprogrammen können Unternehmen dauerhaft Kunden gewinnen. Wie dies gelingt, erläutern Mathias Gehrckens, Geschäftsführer Handel und Konsumgüter bei Accenture, und die Digital Customer, CRM & Loyalty-Expertin Irene Pelke.

Mathias Gehrckens ist Geschäftsführer Handel und Konsumgüter bei Accenture Deutschland sowie Mitgründer der dgroup, Teil des globalen Accenture-Netzwerkes. Gehrckens veröffentlicht regelmäßig Artikel und Fachbücher rund um die digitale Transformation des Handels.

Im Zuge der Digitalisierung und der Marktentwicklungen haben sich die Anforderungen der Verbraucher an das Kauferlebnis und damit an den Handel sowie werbetreibende Unternehmen eklatant verändert. Stark geprägt durch GAFA (Google, Apple, Facebook und Amazon) wurden neue Standards gesetzt, die die Kunden nun auch auf andere Händler übertragen. Die Verbraucher können und wollen alle Freiheitsgrade genießen und sowohl online, mobil als auch stationär einkaufen und sich informieren – und das rund um die Uhr. Das Angebot ist größer geworden, Leistungen und Preise sind transparent. Kunden werden daher immer wechselfreudiger und agieren weniger loyal gegenüber einem Händler. Der Preis alleine reicht heute nicht mehr aus, um Kunden bei sich zu halten. Und die Kundenakquisitionskosten steigen stetig weiter und drücken zusätzlich auf die Marge.

Anzeige
Irene Pelke berät bei Accenture Deutschland Unternehmen rund um die Themen digitale Transformation im Marketing und Vertrieb inklusive CRM. Sie verfügt über langjährige und weitreichende Expertise im Bereich Kundenbindung.

Hier können Kundenbindungs- bzw. Loyalty-Programme (im folgenden Kundenbindungsprogramme) Händlern helfen, Verbraucher an sich zu binden und im Idealfall aus Laufkundschaft Stammkunden zu machen – online und offline. Sie sind ein mächtiges Marketinginstrument, wenn sie richtig konzipiert und professionell betrieben werden. Dabei gilt es, eine Balance zwischen dem Wertbeitrag auf die übergeordneten Unternehmensziele und dem Nutzen sowie der Relevanz für den Kunden zu finden.

Immer mehr Kundenbindungsprogramme bieten mehr als Punktesammeln

Kundenbindungsprogramme sind vielfältig, reichen von klassischen Rabatt-basierten Programmen mit einem Hauptfokus auf Preisvorteil bis zu psychologisch-emotionalen Programmen, bei denen eine Beziehung zum Kunden entwickelt wird und dessen persönliche Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen.

Typische Basisvarianten für alternative Kundenbindungsprogramme sind:

  • einfache Stempelkarten, die ab einer bestimmten Anzahl der Stempel die versprochene Belohnung garantieren und einfach in der Handhabung sind
  • Coupons oder Rabattmarken, zum Beispiel auf den Verpackungen von Herstellern, um den Handel zu umgehen und einen direkten Kontakt zu den Kunden aufzubauen
  • klassische Kundenkarten mit der Möglichkeit, Punkte zu sammeln und einzulösen, häufig verbunden mit weiteren Vorteilen
  • Service/Abo-Modelle, bei denen die Kunden sich bestimmte Vorteile sichern können, zum Beispiel durch eine fixe Gebühr bei Amazon Prime
  • komplexe Bonusprogramme, darunter die Vielfliegerprogramme von Fluggesellschaften, die vielfältige Sammel- und Einlöse-Möglichkeiten bieten

Dort, wo physische Karten zum Einsatz kommen, wird von Kunden längst eine Erweiterung um eine digitale Version als selbstverständlich vorausgesetzt. Immer mehr Unternehmen bieten sogar nur noch diese an – häufig integriert in eine Kunden-App, was dann auch die kontinuierliche Kundendatenerfassung stark verbessert.

Damit ein Kundenbindungsprogramm erfolgreich wird, muss es für Kunden relevant sein und ihnen echte Anreize bieten. Je nach den Zielen des Händlers und der Kundenstruktur kann das Programm verschiedenen Zwecken dienen, zum Beispiel einen Preisvorteil fokussieren, auf Exklusivität und „Money-cant‘-buy“-Produkte, -Services und -Events setzen, bestimmte Zusatzservices offerieren oder persönliche Präferenzen und Werte aufgreifen.

Im Rahmen von Kundenbindungsprogrammen erfasste Kundendaten und Informationen helfen – richtig generiert und analysiert – dabei, den Kunden einen Mehrwert zu liefern und ihre Umsätze zu steigern. Hat zum Beispiel ein Kunde einen Rasierapparat gekauft, lässt sich ihm nach einer bestimmten sinnvollen Zeitspanne ein individualisiertes Angebot für Reinigungsmittel und Ersatzklingen zuschicken. Derlei Kommunikation baut eine Bindung zum Kunden auf, liefert einen erkennbaren Mehrwert, verfolgt einen Servicegedanken und vermeidet lästiges „Zumüllen“ mit Werbemails.

In so gut wie keiner Altersgruppe im E-Commerce zeigen sich Kunden von derlei personalisierter Kommunikation negativ überrascht. 40 Prozent der Teilnehmer von Accenture-Studien geben sogar an, dass sie ihre persönlichen Daten mit dem Unternehmen teilen und ergänzen würden, wenn die Personalisierung (gleich Kundenmehrwert und Relevanz) dadurch steigt.

Die zwei wichtigsten Trends bei Kundenbindungsprogrammen

  1. Personalisierung ist nach wie vor ein wichtiger Trend und ein Erfolgsfaktor. Durch personalisierte Kommunikation kann eine echte Beziehung zum Kunden aufgebaut und dieser so an das Unternehmen gebunden werden. Hier gilt es, Kundenbindung auf die gesamte Kundenerlebniskette (Customer Journey) zu übertragen und beispielsweise auch die Kundenbeteiligung in den Sozialen Medien zu berücksichtigen und zu belohnen. Kunden werden zunehmend selbstbewusster und kennen den Wert ihrer Daten, sodass es sich empfiehlt, ihnen Auswahlmöglichkeiten bei Leistungen und Services zu bieten. Die Selbstbestimmtheit der Kunden steigt mit der Möglichkeit, aus dem Angebot das für sie Relevante auszuwählen. Bei Erreichen einer bestimmten Punktezahl lassen sich dem Kunden zum Beispiel proaktiv Vorteile zur Auswahl anbieten. Dabei kann es sich um ein relevantes Produkt, ein für den Kunden bedeutenden Service oder ein interessantes Event handeln – Unternehmen sehen dabei, was Kunden annehmen und lernen stetig daraus.

    2. Für eine erfolgreiche Personalisierung mit Mehrwert und Relevanz für den Kunden ist ein professionelles Datenmanagement Voraussetzung. Den zweiten wichtigen Trend bildet daher die Nutzung der Daten & Analysen samt neuer Technologien. Saubere Daten und vielfältige Analysen daraus bilden die Basis für ein erfolgreiches Kundenbindungsprogramm. Intelligent verknüpfte und analysierte Daten ermöglichen, den Kunden hochrelevante Angebote ausspielen zu können und so den Umsatz zu steigern. Durch Datenanalysen lässt sich zusätzlich profitables Cross- und Up-selling betreiben. Kunden, die zum Beispiel regelmäßig „nur“ Marmelade kaufen, erhalten so als Treuebonus beispielsweise spezielle Rabatte oder doppelte Punkte auch für Butter oder Frischkäse als Brotaufstrich. Oder ihnen werden Marmeladen angeboten, die eine höhere Marge haben. Wichtig ist, daraus zu lernen und die analytischen Erkenntnisse zu erfassen sowie anzupassen. Das klingt einfach, erweist sich bei den meisten Unternehmen in der Praxis aber als schwer. Das liegt häufig an in Silos gespeicherten Daten, die nicht harmonisiert sind und deshalb nicht für komplexere Analysen verwendet werden können. Hier bieten flexible moderne IT-Systeme für Analytics und CRM die Basis.

Wie Datenanalyse und Personalisierung im Kundenbindungskontext zusammenspielen zeigt folgendes Beispiel: Aus den Kundendaten eines Lebensmitteleinzelhändlers lassen sich der Gesamtbedarf des Kunden an Lebensmitteln ableitenund ihm die vermutlich benötigten Produkte vorschlagenn. Kunden, die zum Beispiel nur sehr selten bis gar kein Obst & Gemüse einkaufen, können dieses angeboten bekommen, um den Share-of-Wallet und Warenkorbwert zu erhöhen. Neue Technologien wie die Nutzung von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz (KI) unterstützen die Analysen. Aus Kundenbindungsperspektive können solche Kampagnen abgerundet werden, indem den Kunden ein Service aus dem Kundenbindungsprogramm dazu angeboten wird, am besten einer, von dem der Händler weiß, dass er dem Kunden wichtig ist. Das wiederum lässt sich analytisch aus seinem Verhalten oder dem einer Vergleichsgruppe an Kunden ableiten.

So verwendet zum Beispiel Sephora die Sephora Virtual Artist App, eine auf Augmented Reality basierende Beauty-App, die die Kunden sowohl digital über das Smartphone als auch physisch im Store benutzen. Die Ergebnisse werden im Benutzerprofil hinterlegt, so dass die Kunden personalisierte und für sie hilfreiche (und somit hochrelevante) Angebote erhalten – was sie zusätzlich motiviert, ein Profil anzulegen und ihre Daten mit dem Unternehmen zu teilen.

Neben Relevanz stehen hierbei Vertrauen, Transparenz und Sicherheit im Vordergrund. Für Unternehmen ist es wichtig zu kommunizieren, dass die Kundendaten bei ihnen in sicheren Händen sind. Sie sollten transparent machen, wie und wofür sie Kundendaten nutzen, auch über Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hinweg bzw. in leicht verständlicher Form. Der Kunde muss sich sicher sein, dass er selbst der Kurator seiner Daten ist. Kunden möchten mehr und mehr selbst bestimmen, was mit ihren Daten geschieht.

Beispiele moderner Kundenbindungskonzepte

Derzeit werden viele Kundenbindungsprogramme überarbeitet, um den heutigen und zukünftigen Verbraucheranforderungen gerecht zu werden – gleichzeitig gibt es Konzepte für ganz neue Programme.

  • Douglas betreibt ein klassisches Kundenkartenprogramm mit dem Fokus auf Personalisierung und honoriert jede zusätzliche Dateninformation mit Punkten, die später eingelöst werden können. Mit jeder Datenangabe und jedem Einkauf erfährt Douglas somit mehr über seine Kunden. Diese profitieren davon, personalisierte und hochrelevante Angebote zu erhalten.
  • „realPro“, das 2019 eingeführte Abo/Bezahl-Programm von Real, ist ein Beispiel für ein primär monetär motiviertes Kundenbindungskonzept. Für 69 Euro pro Jahr können real-Kunden eine realPro-Mitgliedschaft erwerben und beim Einkaufen Geld sparen.

  • Auch Lidl setzt mit der Einführung von Lidl Plus, basierend auf einer reinen digitalen Karte mit vielen personalisierten Aktionen, auf Kundenbindung. Im Zuge dessen werden zum Beispiel stationäre Bon-Daten mit Online-Bewegungsdaten verschmolzen und holistisch für Analysen und personalisierte Kundenansprache verwendet. So erhalten Lidl-Kunden für sie relevante Angebote und profitieren von Rabatten und Coupons, die nur für Lidl Plus-Mitglieder gültig sind. Lidl passt das neue Kundenbindungsprogramm aktuell durch stetige Tests und Beobachtungen an und lernt somit sehr viel über seine Kunden, um so den eigenen Umsatz und die Profitabilität zu steigern, sowie den Umsatz mit Partnern wie Flixbus zu erhöhen.

  • Immer wieder eine Erwähnung wert: Starbucks. Der Kaffee-Spezialist fokussiert sich seit jeher stark auf Kundenbedürfnisse und löst Kunden-„Pain-Points“, um die Kaffeegenießer weiterhin in die Filialen zu locken. So sieht der registrierte Kunde auf seinem Smartphone den nächsten Shop, kann via App auf dem Weg seinen Lieblingskaffee bestellen sowie bezahlen und braucht diesen dann nur noch an der Bar abzuholen, ohne in einer Warteschlange zu stehen. Starbucks nutzt hier – neben verschiedenen weiteren Vorteilen wie zum Beispiel kostenlosen Kaffee – die Zeitersparnis des Kunden, um ihn zu sich ins System zu holen und an sich zu binden.

  • Auch Nike entwickelt sein Kundenbindungsprogramm laufend weiter, denn loyale Kunden tragen bei Nike nachweislich signifikant zur Umsatzsteigerung bei. Die Programmvorteile fokussieren sich mehr auf Exklusivität, weniger auf Rabatte, und werden immer wieder getestet und bei weniger Erfolg verworfen. Nike berücksichtigt personalisiert die gesamte Customer Journey sowie die Online- und Offline-Welt. So haben nur die Mitglieder des Kundenbindungsprogramms einen Zutritt zu einem bestimmten Bereich in der New Yorker Filiale – neben weiteren Vorteilen wie Geschenke bei Nutzung weiterer Nike-Apps, zum Beispiel der Nike Training-App.

Fazit: Das sind die Voraussetzungen für ein nachhaltig erfolgreiches Kundenbindungsprogramm

Mit klug aufgesetzten und gesteuerten Kundenbindungsprogrammen können Händler und Hersteller relevanter für ihre Kunden werden, mehr über diese erfahren und gleichzeitig wichtige neue Erkenntnisse für jeden Bereich der Wertschöpfungskette generieren. Vor allem lassen sich damit Vermarktungstaktiken optimieren und Umsatz sowie Profitabilität steigern. Das Thema Kundenbindung gehört daher mit mehr Gewicht in die Geschäftsstrategie eines jeden Händlers.

Hier die wichtigsten To Do’s für Unternehmen beim Aufsetzen oder der Weiterentwicklung eines Kundenbindungsprogramms:

  • Definition konkreter Ziele und Ableitung einer inhaltlichen Strategie für das Programm.
  • Berücksichtigung von Marktentwicklungen und Trends sowie Analyse der Wettbewerber.
  • Analyse bereits vorhandener Daten, um ein Verständnis für die aktuellen Kunden zu bekommen. Konkret: Ableitung von Daten, die basierend auf der Zielsetzung und dem Konzept des Kundenbindungsprogramms relevant sind. Prüfung der Datenverfügbarkeit und Datenqualität.
  • Den Kunden stets im Fokus behalten und die Beantwortung folgender zentraler Frage erarbeiten: Welche Vorteile und Services sind für diesen im Zusammenhang mit dem Produktangebot relevant?
  • Bestandsaufnahme der IT-Landschaft bzw. Prüfung, ob das angestrebte Kundenbindungsprogramm operativ betrieben werden kann und die Datenanalysen und Datenverwendung möglich sind. Begutachtung der Analysefähigkeiten im Unternehmen samt der vorhandenen Expertise der Mitarbeiter.

Auf dieser Basis ein für Kunden zugleich attraktives und leicht verständliches Programm in einem Wurf zu entwickeln, bleibt trotzdem immer eine Herausforderung. Deswegen sollten Unternehmen stets agil und hypothesengetrieben vorgehen sowie frühzeitig Konzeptideen mithilfe von Prototypen testen. Auch darf nicht vergessen werden, dass jedes Kundenbindungsprogramm nur ein Startpunkt ist und stetig Überprüfung und Weiterentwicklung benötigt, um nachhaltig erfolgreich zu sein.

STARTSEITE