Der Nukleus der Digitalisierung: ERP-Systeme als Investitionsgut für KMUs und Start-Ups

Angesichts weiter wachsender Anforderungen werden ERP-Systeme mittlerweile selbst für viele klein- und mittelständische Unternehmen zur Pflicht. Im Interview erläutert Carsten Schröder, President of Cloud ERP bei Haufe X360, für wen sie genau geeignet sind, was sich in den vergangenen Jahren verändert hat und worauf bei der Anschaffung geachtet werden sollte. Zusätzlich zeigt er auf, warum Haufe X360 zum am schnellsten wachsenden Cloud-ERP-System der DACH-Region aufsteigen konnte.

Carsten Schröder, President of Cloud ERP bei Haufe X360

Haufe X360 startete zu einer Zeit, als die Corona-Pandemie gerade für einen enormen Digitalisierungsboom sorgte. Wie hat sich der Markt aus Ihrer Sicht seit damals verändert?

Corona war gerade für kleine und mittelständische Unternehmen eine Zeitenwende. Im Grunde erwies sich die Pandemie als ein Hardcore-Reality-Check über die Resilienz ihrer bestehenden Geschäftsmodelle und der Wertschöpfung. Viele wurden mit Themen konfrontiert, vor denen sie sich lange Zeit gedrückt bzw. die sie verdrängt haben oder die nicht proaktiv bearbeitet wurden. So ist die Remote-Arbeit immens in den Vordergrund gerückt, ebenso wie mobile Zugriffe auf die digitale Infrastruktur. Wir sind dadurch mit Riesenschritten in das New Work 4.0-Zeitalter eingetreten. Es ist mittlerweile fast zum Standard geworden, dass ein Großteil der Belegschaft remote arbeitet. Das ist eine Realität, an der auch der kleine und mittelständische Unternehmer nicht vorbeikommt, besonders unter Recruiting-Gesichtspunkten.

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Ein genauso wichtiges Thema ist die Relevanz und die Strahlkraft von digitalen Geschäftsmodellen, insbesondere der Bereiche E-Commerce und Handelsplätze. Diese haben während Corona natürlich eine ganz andere Dimension und Wirkmacht bekommen, weil das klassische Ladengeschäft reduziert wurde oder ganz wegfiel. Bei den größeren Mittelständlern war die Anforderungslage sogar noch schwieriger, da das ganze Thema der Supply Chain hinzukam. Auch dafür war die ERP als Nukleus der Digitalisierung ein Rettungsanker, ein System das man brauchte, um Wertschöpfung weiter abwickeln zu können.

Wie ist Haufe X360 darauf eingegangen?

Wir haben im Grund nichts verändert, da wir eine Cloud-Native-Solution haben, die bereits standardmäßig auf die Themen mobile Zugriffe und remote ausgelegt ist. Durch Schnittstellen sind wir zudem auch in der Lage, das Thema Commerce abzubilden. Was sich durchaus verändert hat, ist die Art der Kundenbetreuung via Partner und damit natürlich ebenso die klassischen Modelle der ERP-Einführung und -Erstimplementierung. Normalerweise war es im Mittelstand so, dass unsere Berater vor Ort waren. Nun war es nicht mehr Face-to-Face, sondern es wurde remote gearbeitet. Auch da mussten wir natürlich lernen. Wir haben uns zudem schnell angepasst, indem wir besonderen Wert auf die Geschwindigkeit der Einführung gelegt haben, damit Kunden möglichst bald eine Lösung zur Verfügung steht. Wenn jemand bei SAP – und das meine ich nicht zynisch – ein Jahr warten muss, verliert er ein Jahr an produktiver Zeit. Wir haben deshalb Rapid Deployment Solutions offeriert, das heißt einen fertigen Featureumfang, ein Standardset, das zu einem Zeitpunkt x zum Festpreis bei einem Kunden eingeführt werden konnte.

Sie haben einmal gesagt, dass Haufe X360 anders als der Wettbewerb Flexibilität und Skalierung bietet. Sind das die entscheidenden Alleinstellungsmerkmale für das System?

Es sind zwei der wichtigsten Alleinstellungsmerkmale. Zusätzlich ist wichtig, dass wir nicht wie viele unserer Mitbewerber den Ansatz haben, vollumfängliche Suiten aus einer Hand bieten zu müssen. Wir verfolgen ein anderes Modell. Wir sehen unsere Partner und ihre Expertise in Bezug auf Consulting sowie die Systeme, die sie bereits im Portfolio haben und die sie an unser ERP andocken können, als Teil der Wertschöpfungskette. Im Grunde sind es nicht klassische Reseller, die nur den Standard verkaufen, sondern gerade auch Unternehmen, die in der Lage sind, unsere ERP durch ihr eigenes Lösungsportfolio und ihre eigene Consultingexpertise in den jeweiligen Verticals bzw. Branchen anzureichern und dadurch spezialisiert und besser zu machen.

Was man uns bereits quasi attestiert hat, aber wir nun auch deutlich bemerken konnten: Unsere Acumatica-Plattform (die bei uns X360 heißt) ist so performant, dass wir auch in der Lage sind, ein Tech-Unicorn wie Flink mit unserer eigentlich mittelständisch ausgeprägten Lösung zu bedienen, das täglich hunderttausende von Transaktionen über uns spielt.

Ist Flink bislang die größte Anwendung für das System?

Flink ist die größte Anwendung. Man muss aber ehrlicherweise sagen, dass das nicht unser Kernmarkt ist, weil es sich im Grunde um einen Exoten handelt, der gar nicht in unser Portfolio passt. Aber wir haben ihn einfach als Test aufgenommen und es funktioniert. Es ist für uns wunderbar, im Stresstest einmal zu sehen, was die Lösung wirklich im Live-Betrieb zu leisten vermag.

Für welche Unternehmen würden Sie ERP-Systeme empfehlen?

Man könnte natürlich sagen: Es lohnt sich für jeden zu investieren – aber ich möchte eine ehrliche Antwort geben. Es kommt stark auf die Ambition an, also das Szenario, was mir für meine Firma vorschwebt. Wenn ich ein Käsegeschäft in Freiburg gründe, den Käse in Holland einkaufe und mit ein oder zwei Niederlassungen zufrieden bin, brauche ich nicht unbedingt ein ERP-System. Wenn ich allerdings ein ambitioniertes Wachstumsszenario vor Augen habe, würde ich gerade Start-Ups raten, sich schnell und zügig für eine atmende ERP-Lösung zu entscheiden. Irgendwann werden sie mit dieser Thematik konfrontiert – und je länger sie mit der Einführung warten, desto komplexer wird es.

Worauf sollte man besonders achten und wo lauern Fehlerquellen?

Bestehende Unternehmen, die ein ERP einführen wollen, machen gerne einen Fehler. Sie versuchen, aus ihrer eigenen bis dahin bestehenden Wertschöpfung Logiken und Algorithmen abzuleiten, wie ihr System zukünftig aussehen sollte. Sie verlieren sich sehr oft in Features oder wollen Sonderwünsche berücksichtigt haben, die eigentlich nicht notwendig sind. Alle ERP-Systeme sind üblicherweise nach Best Practices ausgedacht, weshalb man sich anfangs nicht zu weit vom Standard entfernen sollte. Nur weil eine Buchhalterin einen Finanzbuchhaltungsprozess seit zwanzig Jahren nach einem bestimmten Schema macht, bedeutet dass noch nicht, dass es ein optimierter Benchmark-Prozess ist. In gewisser Weise muss die Bereitschaft bestehen, sich der Software anzupassen und nicht nur vice versa.

Sonst wird es eine Individualentwicklung, es wird im Nachgang teurer, die Customizing-Aufwände steigen und die Einführung verzögert sich. Zudem ist ein ERP-System auch für kleine Unternehmen ein Investitionsgut, nicht nur bei den Kosten, sondern auch was die Zukunft der IT-Infrastruktur eines Unternehmens ausmacht. Deshalb würde ich immer über spezialisierte Berater gehen, die teilweise durchaus agnostisch aufgestellt sind. Sie müssen aber auf jeden Fall Prozess-Know-how besitzen, was ihre Branche angeht. Das ist ganz wichtig.

Dieses Prozess-Know-how kann nicht vom ERP-Hersteller kommen?

Auch wenn viel Hersteller glauben, dass sie es bieten können, sind sie in Wirklichkeit nicht dazu in der Lage. Die einzelnen Branchen, Verticals, Industrien oder Felder einzelner Branchen entwickeln sich so rasant weiter, dass man als ERP-Hersteller gar nicht mehr in der Lage ist, auf der Höhe der Zeit zu sein. Wenn man als Unternehmen einen gewissen Komplexitätsgrad erreicht hat, würde ich immer über einen Berater gehen, mit dem man dann auch eine lebenslange Beziehung führt. Wichtig ist, dass er validieren kann, dass er schon mal einen Case in einer ähnlichen Anforderungslage hatte. Ob ein Partner diesbezüglich Referenzen besitzt, ist für mich kriegsentscheidend.

Welche Ziele haben sie sich für 2023 und darüber hinaus gesetzt?

Unser internes Ziel ist, weiter so immens zu wachsen. Derzeit sind wir bei fast 200 Prozent New Business jährlich. Wir gewinnen sehr schnell Kunden und skalieren mit 500/600 Prozent teils stärker als der Wettbewerb. Wir wollen natürlich damit verbunden auch unsere Partnerlandschaft weiter anreichern. Wir haben jetzt ungefähr 70 Partner in Bezug auf regionale Schwerpunkte und Spezialexpertise in den verschiedenen Geschäftsmodellen. Wir suchen derzeit noch bestimmte Partner, die tiefer in einzelnen Nischen wie z.B. den Automotive-Bereich eingearbeitet sind und somit besser abdecken können. Das heißt, eine Ausdifferenzierung und weitere Spezialisierung des Partnernetzwerks ist geplant.

Gibt es Branchen, die nicht bedient werden?

Es gibt ein paar Branchen, die wir grundsätzlich ausschließen. Das heißt momentan soviel wie: Da können wir uns vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren mit beschäftigen, das sind beispielsweise Themen wie Forstwirtschaft. Grundsätzlich sind unsere Lösungen so angelegt, dass sie in der Theorie alle Branchen bis zu einer gewissen Tiefe abdecken. Unser Anspruch ist es, in der Acumatica-Lösung alle Geschäftsmodelle abbilden zu können. Wir bilden im Bereich des Handels ungefähr 80 Prozent der Kernfunktionalitäten ab, ebenso wie im Bereich des Dienstleistungssektor und in der Produktion. Der Rest wird angereichert über ISV- und Partnerlösungen.

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