Der Onlinehandel boomt und das nicht nur seit Corona. Letztes Jahr betrug der Umsatz allein im E-Commerce (B2C) in Deutschland 59,2 Milliarden Euro. Als Kehrseite des höheren Bestellvolumens steigt für Versandhändler jedoch auch die Zahl der Rücksendungen. Da dieser Prozess meist mit hohen Kosten verbunden ist, suchen viele Händler nach günstigeren Lösungen. Allerdings sollten sie zum eigenen Vorteil auch ihre traditionelle Vorgehensweise überdenken, wie Trusted Returns-Geschäftsführer Artjom Bruch erläutert.
Retouren bieten Kundenkontakt und Einsichten
Fast eine halbe Milliarde Artikel werden in Deutschland pro Jahr retourniert. Zu dieser Einschätzung kam die Forschungsgruppe Retourenmanagement am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre der Universität in Bamberg. Um diesem Berg an Rücksendungen auch finanziell begegnen zu können, braucht es ein effizientes Retourenmanagement.
Die jüngste Entscheidung der Otto Group, selbst das letzte Drittel aller Retouren künftig in Polen und Tschechien bearbeiten zu lassen und nicht mehr direkt bei Hermes Fulfilment in Hamburg, ist ein Indikator für den allgemein gestiegenen Kostendruck und die sich verschärfende Konkurrenzsituation unter Versandhändlern. Und die Otto Group ist kein Einzelfall. Auch Amazon und Zalando lassen seit geraumer Zeit ihre Rücksendungen in Osteuropa bearbeiten. Sie versuchen so der Internationalisierung ihres Geschäfts und höheren Anforderungen bei destinationsabhängiger Steuerung von Warenflüssen zu begegnen und zudem ihre Kosten für Retouren der Kunden in den Griff zu bekommen.
Was vielen Versendern fehlt, ist oft jedoch eine holistische Herangehensweise an das Thema Ressourcenmanagement und das Infragestellen der existierenden Prozesse und auch Zielsetzungen. Retourenmanagement sollte mehr sein als nur das Zurückholen von Waren. Es ist auch Kontaktpunkt zum Kunden und Datenquelle – und hat somit auch Einfluss auf den künftigen Umsatz.
Schluss mit der veralteten Beilegerretoure
Bei den meisten E-Commerce-Unternehmen, insbesondere in der Fashion-Branche, ist die Beilegerretoure, also die beigefügten Versandunterlagen für eine komfortable und schnelle Rücksendung an den Versender, immer noch Standard. „Viele Unternehmen scheuen sich, neue Wege bei Retouren zu gehen. Sie befürchten, dass neue Prozesse zu einem vermeintlich schlechteren Kundenservice führen könnten“, erklärt Artjom Bruch, Geschäftsführer bei Trusted Returns, Anbieter einer IT-Plattform für das Retourenmanagement.
Dabei bedeutet gerade diese Art des Rückversands oft starre und intransparente Prozesse. Neben nachteiligen Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit und der Entstehung hoher Kosten wird auch die Nachhaltigkeit des Online-Handels negativ beeinflusst. Zudem weiß der Händler oft nicht einmal, dass eine Retoure auf dem Weg ist und muss die Ware nach Erhalt erst physisch auspacken und anhand des Beilegers prüfen. Erst dann kann der Kunde mit einer Rückerstattung rechnen – was kompliziert und im Angesicht der digital verfügbaren Möglichkeiten wie ein Überbleibsel aus der Katalog-Versandzeit wirkt.
Aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit schlagen bei der Beilegerretoure oft auch unnötige Transportwege negativ zu Buche, da die retournierte Ware nicht direkt zu ihrem eigentlichen Bestimmungsort, oft abhängig vom Rücksendegrund, geschickt werden kann. Darüber hinaus stehen hier Alternativen zum Rückversand überhaupt nicht zur Auswahl.
Vorteile eines softwarebasierten Retourenprozesses
Schon heute bieten Softwareplattformen flexible und kundenfreundliche Ansätze zur Ausgestaltung eines Reklamations- oder Rücksendungsfalles. Im Fokus stehen die individuellen Wünsche des Endkunden, was die Consumer Experience positiv stärkt.
„Wer sagt denn, dass der Kunde wirklich alles zurücksenden will und nicht zum Beispiel für einen kleinen Preisnachlass bereit ist, den leicht, aber nicht sichtbar beschädigten Artikel zu behalten? Oder warum muss denn ein Kaffeevollautomat aufwändig eingepackt und komplett zurückgeschickt werden, wenn bei dem Wassertank ein Henkel abgebrochen ist?“, gibt Bruch zu bedenken.
Im Sinne einer nachhaltigen Logistik, gerade vor dem Hintergrund wachsender Mengen im Versandgeschäft, sollte die Beilegerretoure schnell der Vergangenheit angehören. Denn Retouren könnten oft vermieden werden, indem ein softwaregestützter Dialog mit dem Konsumenten geführt wird.
Transparenz im Prozess, bei der Beförderung, des Austausches oder der Gutschrift, schaffen Vertrauen und Loyalität für die Zukunft. Diese Einsichten kommen auch zunehmend dem Händler zugute. Er erfährt durch den plattformbasierten Ansatz mehr über seine Waren und lernt seine Kunden besser kennen, um für die Zukunft bessere kundenorientierte Entscheidungen treffen zu können.
Retourenmanagement und die damit verbundene Kommunikation mit dem Kunden enthält ein enormes Potential zur Generierung von Umsatz – sei es über die direkte Kommunikation oder die Einsichten in Daten, die im Zusammenhang mit diesem Prozess erfasst werden. Es fällt vielen E-Commerce-Unternehmen allerdings noch schwer, diesen Schatz zu heben und ihn zu nutzen.