Keimzellen gegen den Pendel-Wahn

Fast 25 Millionen Menschen in Deutschland pendeln im Schnitt täglich ca. 34 Kilometer zur Arbeit und generieren ca. 13 Millionen Tonnen CO2. Die dabei verlorene Zeit verursacht einen wirtschaftlichen Gesamtschaden von weit mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Das Leben in Kleinstädten und Dörfern verkümmert, lokale Geschäfte schließen. In Großstädten werden Wohnungsknappheit und Verkehrskollaps immer dramatischer. Der Dcent.work e.V. will einen ganzheitlichen und nachhaltigen Ausweg bieten. Geschäftsführer Torsten Kruemmel geht in seinem Beitrag näher auf die Problematiken ein und schildert den gewählten Lösungsansatz.

Die Notwendigkeit für dezentrales Arbeiten ist nicht aus der Corona-Pandemie geboren. Sie ist ebenso nicht neu und war vor langer Zeit schon etabliert. Vor der industriellen Revolution haben die meisten Menschen dezentral gearbeitet. Der überwiegende Teil der Menschen arbeitete im Dorf oder in dem Stadtviertel, in dem er auch lebte. Dann kam die industrielle Revolution, die durch Zentralisierung und Arbeitsteilung erhebliche Produktivitätssteigerungen ermöglichte und neue Dimensionen von Wohlstand, Gesundheit und Lebensqualität ermöglichte. Dies ging jedoch mit einer wesentlichen Konzentration der Arbeit an zentralen Orten einher. Städte wuchsen und das Land wurde als Arbeitsplatz immer weniger attraktiv. Es kam zur Landflucht und zur Konzentration der Bevölkerung in den Städten.

Anzeige

Wir verbringen im Durchschnitt 24 Tage pro Jahr mit Pendeln

Durch die immer weiter wachsende Mobilität der Menschen unterstützt, entstand folglich das Phänomen des Pendelns. Man wohnt an einem und arbeitet an einem anderen, zum Teil weit entfernten, Ort. Die dafür verbrauchte Zeit ist für sie und für die gesamte Gesellschaft vertan, unproduktiv und im Grunde völlig nutzlos. Sie ist quasi der “Verschnitt”, wie ein Teppichleger oder Schreiner es bezeichnen würde, der restlichen Zeit. Doch was tun Schreiner und Teppichleger? Sie versuchen den “Verschnitt” zu minimieren.

Pendler in Deutschland reisen jährlich 1.111 mal zur Sonne

Die Dimension des “Verschnitts” ist jedoch gigantisch. In Deutschland allein summieren sich die von Pendlern zurückgelegten Strecken auf unvorstellbare 167.200.000.000 Kilometer. Diese abstrakte Zahl entspricht 1.111 mal der Entfernung von der Erde zur Sonne entspricht, was sie aber aufgrund ihrer enormen Größe kaum wenig leicht vorstellbar macht.

Bis dato war es sehr schwierig, den “Verschnitt” unserer Zeit zu minimieren. Wir haben Unsummen in den Bau von Bussen, Zügen, Verkehrsknoten, Autobahnen, Schnellstraßen und vieles mehr investiert, um die Menschen schneller und effizienter zwischen Wohnort und Arbeitsplatz zu transportieren. Doch aus den ersten Kapiteln BWL und Kaizen wissen wir, dass die Vermeidung von Transport eine Königsdisziplin der Einsparung ist.

68 Prozent der Bevölkerung wohnt nicht in Großstädten

Wenig beachtete Tatsachen sind, dass in Deutschland ca. 68 Prozent der Bevölkerung nicht in Großstädten wohnen und dass der Anteil der dezentralisierbaren Arbeiten bei rund 55 Prozent liegt. Zwar ist heute der Prozentsatz der dezentralisierbaren Arbeit in den Ballungsräumen höher als im ländlichen Gebiet, was jedoch in der Zentralisierung selber begründet liegt und ein sich selbst verstärkendes Phänomen ist. So darf angenommen werden, dass die Bereitstellung dezentraler Arbeitsinfrastrukturen auch hier eine gleichmäßigere Verteilung fördern wird.

Arbeit transportieren statt Menschen

Nun befinden wir uns heute mitten in der digitalen Revolution. Diese ermöglicht es uns in vielen Fällen die Arbeit zu transportieren, nicht die Menschen. Allerdings nutzen wir diese Möglichkeit bis jetzt nur sehr unzureichend. Aber warum ist das so? Hierzu haben sich die Experten des Dcent.work e.V sehr intensiv Gedanken gemacht und Untersuchungen durchgeführt. Das Ergebnis ist so erstaunlich wie einfach: Es fehlt die Infrastruktur.

Dabei fällt auf, dass es neben dem “schnellen Internetzugang”, der allenthalben gefordert wird, vor allem an dezentraler, moderner Arbeitsplatzinfrastruktur mangelt. In jedem noch so kleinen Dorf gibt es Straßen, Laternen, Abwasserkanäle und meist sogar ein Bürgerhaus. Doch was es nicht bzw. nicht mehr gibt, sind Arbeitsplätze. Schauen wir wieder zurück in die Vergangenheit: Die Menschen, die im Dorf lebten, haben zum größten Teil auch dort gearbeitet. Die Arbeit war in ihrer Nähe.

Heute betreiben wir aufwändigen und bürokratischen Finanzausgleich zwischen armen und reichen Kommunen, meist also zwischen Stadt und Land. Beide Gruppen leiden jedoch unter dieser Situation, die einen, weil sie veröden, die anderen, weil Wohnraum knapp wird und weitere Regulierungsmaßnahmen, wie z.B. Mietendeckel, vermeintlich notwendig werden.

Coworking in Städten verstärkt das Problem weiter

Moderne Coworkingspaces, die Abhilfe schaffen können, entstehen jedoch ganz überwiegend in Großstädten, also dort, wo viele Büros von Konzernen, des Mittelstandes und kleiner Unternehmen meist ohnehin schon sind. Die Zentralisierung nimmt durch die Schaffung der Coworkingspaces hier also noch weiter zu, was die Infrastruktur der Städte noch mehr belastet.

Was also notwendig ist, ist ein echter Paradigmenwechsel. Die weiter fortschreitende Zentralisierung muss gestoppt und umgekehrt werden. Diese Umkehrung bedarf jedoch der aktiven Förderung durch Staat und Gesellschaft. Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung stehen in Deutschland mehr als ausreichend Wohnungen leer, diese befinden sich aber überwiegend im ländlichen Raum. In den Großstädten herrscht hingegen akuter Wohnungsmangel. Eine Möglichkeit ist, den Wohnraum in den Städten zu schaffen und ihn auf dem Land zurückzubauen. Dies ist jedoch sehr langfristig und mit immensen Investitionen verbunden. Außerdem verschärft es den Verkehrskollaps weiter und belastet die Umwelt durch die Bautätigkeit noch weiter.

Es gilt also effizient und schnell Infrastrukturen zu schaffen, durch die Menschen den vorhandenen Wohnraum zu nutzen und in dessen Nähe arbeiten können, ohne pendeln zu müssen. Genau diese Schaffung dezentraler Arbeitsinfrastruktur hat sich der Dcent.work e.V. auf die Fahne geschrieben.

Es geht um viel mehr als um Coworking auf dem Land

Neben der Bereitstellung von “schnellem Internet” werden vor allem solche Räumlichkeiten benötigt, in denen die Menschen nah an ihrem Wohnort effizient arbeiten können. Hierfür ist die Ausnutzung der Möglichkeiten neuester Technologien in Bezug auf Kommunikation, Ergonomie und Sicherheit Grundvoraussetzung. Darüber hinaus müssen die Menschen für die Nutzung dezentraler Arbeitsräume geschult und unterstützt werden. Auch diese Leistungen will Dcent.work erbringen.

Ziel ist es, die dezentralen Arbeitsräume so zu gestalten, das möglichst viele Arbeitnehmer, Selbständige und Unternehmen diese für sich nutzen können. Zu diesem Zweck sind dezentrale Arbeitsräume vernetzte, digital und ergonomisch voll ausgestattete Büros mit 5 bis 50 Arbeitsplätzen. Sie können von den oben genannten Zielgruppen gleichermaßen genutzt werden.

In den Arbeitsräumen arbeiten Menschen aus unterschiedlichsten Unternehmen und Branchen, sie können unabhängig voneinander agieren, sich aber auch neu vernetzen und sich so Inspiration für ihre jeweiligen Aufgaben holen. In Bezug auf die Kommunikation mit Kollegen des gleichen Unternehmens an anderen Standorten sind die dezentralen Arbeitsplätze untereinander vernetzt, so das die Zusammenarbeit auch über große Entfernungen hinweg jederzeit komfortabel und effizient möglich ist.

So gibt es spezielle Räume, die auf Video- und Audiokonferenzen optimiert sind, was bis dato nur sehr selten vorzufinden ist. Für die Erbringung dieser Leistungen ist, unter anderem, eine ultraschnelle Internetanbindung via Glasfaser unabdingbar und vorgesehen.

Die Dcent.work-Standorte sind Keimzellen

Das Gesamtkonzept wurde gemeinsam mit erfahrenen Praktikern, Arbeitspsychologen und Anwendern entwickelt, um den Bedürfnissen einer möglichst breiten Masse von Nutzern zu entsprechen. Neben den Arbeitsräumen soll sich in deren Umfeld eine neue Infrastruktur aus Dienstleistung und Handel entwickeln, von der die gesamte Bevölkerung in der Umgebung eines jeden Standortes profitiert. So sind die Dcent.work-Standorte Keimzellen für Neugründungen, Ansiedlung und lokale Dienstleistungen, für die die Menschen heute ebenfalls längere Strecken zurücklegen. So können hier z.B. mehr Kindergärten in unmittelbarer Nähe der Standorte entstehen, wodurch das Familienleben weiter gefördert wird und wiederum umweltschädliche Wege eingespart werden können, ohne die Vielfalt zu reduzieren.

Dezentrales Arbeiten soll vor allem Gewinner hervorbringen

Das Gesamtkonzept der dezentralen Arbeit soll dabei vor allem Gewinner hervorbringen. Auf den ersten Blick mag es zwar so erscheinen, dass die Großstädte hier verlieren, doch das ist laut der Dcent.work-Analyse nicht der Fall. Durch die Reduktion von Finanzausgleichszahlungen, Verbesserung der Lebensqualität, Verringerung des Verkehrsaufkommens und den damit verbundenen Investitionen in die Infrastruktur sowie der Fokussierung der Städte auf ihre Kernkompetenzen werden diese ebenfalls zu Profiteuren des neuen Trends. Neben den ländlichen Gebieten profitieren ebenfalls die Speckgürtel der Großstädte sowie die dort ansässigen Unternehmen.

Allen voran profitieren aber Menschen, Umwelt und Gesellschaft.

Wir müssen dezentrale Arbeitsräume als Infrastruktur begreifen

Wie können wir den Weg in diese Zukunft aber beginnen? Zunächst müssen wir anfangen dezentrale Arbeitsräume als Infrastruktur zu begreifen. Transportwege werden in Deutschland wie selbstverständlich als öffentliche Infrastruktur wahrgenommen, ebenso wie Kindergärten, Schulen etc. Doch Arbeitsplätze bzw. Arbeitsräume sind zwar in ihrer Beschaffenheit durch Gesetze und Regularien definiert, werden aber fast ausschließlich von den Arbeitgebern bereitgestellt. Wenn wir jedoch einen Paradigmenwechsel erreichen wollen, dann können wir die Verkehrsinfrastruktur nur entlasten, indem wir Arbeitsrauminfrastruktur schaffen. Das geringere Arbeitsaufkommen und die reduzierten Kosten im Bereich der Transportinfrastruktur können in den Aufbau und den Betrieb der dezentralen Arbeitsrauminfrastruktur umgeleitet werden. Auch hier kann das Vorgehen so gestaltet werden, dass es primär Gewinner des Wandels gibt.

Der Dcent.work e.V kann den Aufbau, die Koordination und die Unterstützung des Betriebes ebenso übernehmen wie die Vernetzung all dieser Standorte. Dcent.work verfügt über das nötige Knowhow, um zukunftsfähige Glasfasernetze in das Gesamtkonzept zu integrieren, die Einrichtung der Arbeitsräume zu gewährleisten und die Technik ebenso zu betreiben, wie Schulungen anzubieten und Abrechnung mit den Nutzern durchzuführen. Die technische Infrastruktur erlaubt die unbürokratische Nutzung der Standorte, an den die Vereinsmitglieder überall vergleichbare Qualität und Ausstattung vorfinden.

Alle Vereinsmitglieder des Dcent.work profitieren

Die einzelnen Komponenten und Aktivitäten des Aufbaus dieser neuen Form des Arbeitens beinhaltet neben vielen Aspekten von Arbeit 4.0, Coworking, New Work, Digitalisierung, Industrie 4.0 auch Inhalte der sozialen Marktwirtschaft, der Eigenverantwortung und der Freiheit im Sinne des kategorischen Imperativs. Im Vordergrund steht die Erschaffung eines nachhaltigen Arbeits- und Gesellschaftsmodells. Zu integrieren sind dabei möglichst viele existierende Infrastrukturen.

So können durch Homeoffice frei werdende Bürokapazitäten bei Unternehmen mit geringem Aufwand zu dezentralen Arbeitsräumen umgewidmet, existierende Coworkingspaces können in das Dcent.work Netzwerk integriert und Leerstände im Wohnungs- und Gewerbebereich reduziert werden. Auf dem Land und in kleineren Städten. So profitieren alle Nutzer von Dcent.work, weil jeder einzelne von ihnen, unabhängig davon, ob Unternehmen oder Individuum, Vereinsmitglied ist.

STARTSEITE