Gamestops Kampf gegen das „Game Over“

Noch bevor andere die ersten Auswirkungen des digitalen Wandels spürten, gerieten auf Unterhaltungsmedien spezialisierte Händler bereits in Bedrängnis. Videotheken, Musikgeschäfte oder unabhängige Videospiel-Retailer gehören inzwischen zu den akut bedrohten Spezies. Doch auch der weltweit größte Gamesspezialist Gamestop kämpft ums Überleben – was sich teils im fragwürdigen Verhalten gegenüber Kunden und teils in der Umsetzung innovativer neuer Konzepte äußert.

Lange Zeit wurde Gamestop von der Spieleindustrie nahezu hofiert, da es als riesiger Filialist (ca. 5.600 Standorte weltweit) natürlich große Mengen bewegte. Kleinere und auf individuelle Beratung setzende Konkurrenten hatten gegen die Übermacht oft keine Chance. Doch inzwischen ist auch Gamestop nicht mehr der Gigant von einst, da sich der Vertriebsweg von Spielen grundlegend ändert. So wurden in den USA 2009 noch 80 Prozent der Umsätze mit PC- und Videospielen (zu denen hier Mobile und Social Games ebenfalls gezählt werden) mit klassischen Datenträgern erwirtschaftet. 2018 schrumpfte der Anteil auf magere 17 Prozent, ganze 83 Prozent des Gamesgeschäfts liefen über verschiedene digitale Kanäle.

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Eine Weile konnte sich Gamestop dem Trend entgegenstemmen, da sich der Händler stark auf das Second-Hand-Geschäft konzentrierte. Kunden erhielten und erhalten Rabatte auf andere Produkte, wenn sie gleichzeitig alte Spiele oder Konsolen eintauschen. Das Unternehmen wurde dabei teils heftig dafür kritisiert, dass es die so zusätzlich erworbenen Games neben Neuware platzierte und nur geringfügig günstiger als diese anbot. Die Vorgehensweise und auch das laut einigen Kundenberichten selten auf die Anliegen eingehende Personal dürfte neben der sich wandelnden Landschaft durchaus dazu geführt haben, dass in den vergangenen zwei Jahren deutlich weniger Interessierte die Filialen besuchten.

Für Profit die Kunden nerven

Wie die Spielewebseite „Polygon“ in Interviews mit verschiedenen Gamestop-Filialmanagern und -Mitarbeitern erfuhr, erreichen selbst einst gut laufende Läden nur noch in Ausnahmefällen die täglichen Verkaufsvorgaben. An vielen Standorten werden deshalb nun verstärkt alte Smartphones und Tablets aufgekauft und für den Weiterverkauf wieder in Schuss gebracht. Dies geht teils soweit, dass Besucher der Läden gezielt auf den Verkauf ihres jeweiligen Smartphones angesprochen werden, um eine rigide Quote zu erfüllen.

Ein weiterer Store Manager, der erst kürzlich kündigte, führte gegenüber „Polygon“ aus, dass die Angestellten von zehn Kunden pro Tag Kontaktinformationen sammeln mussten. Die so erhaltenen Daten werden genutzt, um den Konsumenten verschiedene Services zu offerieren. Solche Vorgehensweisen, die sicherlich kaum die Besuchsfrequenz erhöhen dürften, sind dabei zwar nicht landesweit üblich. Ein Missverhältnis zwischen den rein auf Zahlen bedachten District Managern und der restlichen Belegschaft lässt sich aber fast überall erkennen.

„Sie hören nicht auf die Mitarbeiter“, fasst ein Angestellter dies gegenüber „Polygon“ zusammen. „Wir brauchen Manager, die tatsächlich in den Läden gearbeitet haben, die auf die Filialleiter hören. Ich habe in den letzten Jahren für [eine gescheiterte Einzelhandelskette] gearbeitet, und obwohl wir noch nicht so weit sind, sehe ich definitiv einige Warnzeichen.“

Testregion für komplett neue Konzepte

Alles ist aber eventuell noch nicht verloren, da sich einige Testfilialen wieder ihrer Kernkompetenz zuwenden und sogar noch ausbauen. Rund um und in Tulsa – mit über 400.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des US-Bundesstaats Oklahoma – werden seit vergangenem Jahr in zwölf Filialen vier verschiedene Konzepte ausprobiert, die sich Rebekah Valentine von Gamesindustry.biz einmal näher ansehen konnte. Bei der größten Variante handelt es sich um einen sogenannten Social Store, in dem ein großer Teil der Fläche dem gemeinsamen Spielen gewidmet ist. Insgesamt stehen in dem besuchten Laden 36 Gamingstationen inklusive großer Monitoren und spezieller Gaming-Stühle, die jeweils mit den derzeit aktuellen Konsolen Playstation 4, Xbox One und Switch sowie einem PC und recht frisch erschienenen populären Titeln bestückt sind.

Kunden können dort bis zu 15 Minuten gratis spielen – weitere Ausflüge in die Gamingwelt kosten danach eine Gebühr. Neben der stundenweisen Buchung stehen Tages- oder Wochenpässe, Event-Bundle für beispielsweise Geburtstage oder Tickets für die im Store abgehaltene Tournaments zur Verfügung. Selbst der große Feind „Fortnite“ – das Spiel begeistert die Jugend so sehr, dass sie sich meist kaum noch für ein anderes Game interessiert – wird bei diesem Konzept im Rahmen von „Fortnite Fridays“ zum Verbündeten. Im Gamestop findet sich zudem Raum für klassische Tabletop-Spiele wie Dungeons & Dragons, deren Popularität das Unternehmen enorm überraschte. Nun dienen deshalb öfter Angestellte oder sogar Freelancer als sogenannte Dungeon Master (eine Art Spielleiter) für einzelne Partien.

Mini-Social, Popkultur und Retro

Ein weiteres Store-Konzept bringt genau dieses Social-Erlebnis auf einen kleineren Raum, die anderen beiden konzentrieren sich verstärkt auf Popkultur oder Retro-Gaming. Der Popkultur-Ansatz verzichtet dabei komplett auf die Gaming-Stationen. In der Retro-Gaming-Filiale lassen sich klassische Spieleautomaten und Games derzeit komplett kostenlos nutzen. Da dieser Bereich recht sensible und oft sammelwütige Fans hat, müsste Gamestop hier allerdings vermutlich stark in Kompetenz investieren, um damit langfristig erfolgreich zu sein.

Tulsa wurde als Experimentalfläche gewählt, da sich innerhalb von einer Stunde Autofahrt keine weitere größere Stadt erreichen lässt und so äußere Einflüsse minimal sind. Man sei aber erst in der „Krabbelphase“, führt der Head of Innovation Zach Shor aus, die Konzepte müssten erst noch Laufen bzw. Rennen lernen. Deshalb erwarten sowohl er als auch Chief Customer Officer Frank Hamlin, dass sie sich noch teils grundlegend ändern werden. Hamlin ist eine der treibenden Kräfte hinter der Innovation. Er regte bereits 2014 einen Umbau an, stieß damals aber auf taube Ohren. Als er 2018 erneut von Gamestop umworben wurde, konnte er seine Ideen endlich einbringen.

Hoffen auf neue Konsolen

Dass Gamestop trotz aller Bemühungen sein Filialnetze stark verkleinern muss, ist nahezu sicher. So verzeichnete das Unternehmen vor allem große Rückgänge bei den Hardwareverkäufen, was zuletzt einen hohen Quartalsverlust zur Folge hatte. Viel Hoffnung liegt deshalb auf den beiden kommenden Spielekonsolen Playstation 5 und Xbox One Series X, die ab Ende des Jahres erhältlich sein sollen und vermutlich neuen Schwung bringen.