Chancen für den stationären Handel: E-Commerce-Trends nutzbar machen

Um als stationärer Händler im umkämpften E-Commerce-Markt erfolgreich zu sein, sind clevere und durchdachte Strategien gefragt. Wie sich mit Corporate Venture Building neue Wachstumsfelder erschließen lassen und worauf Retailer sonst noch achten sollten, erläutert Dr. Peter Henssen, Co-Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter von Pacemakers Digital Ventures.

Dr. Peter Henssen (39) ist Co-Gründer und Geschäftsführer bei PMDV (Pacemakers Digital Ventures) GmbH mit Sitz in Berlin. Er verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung in den Bereichen Unternehmensaufbau, digitale Transformation und Acceleration. Der gebürtige Kölner hat u.a. als Senior Manager die Business Building Einheit bei Accenture Deutschland mit aufgebaut und zahlreiche große Transformations- und Plattformprojekte geleitet.

Covid-19 führt im stationären Handel weiterhin zu erheblichen Umsatzeinbußen – auch und gerade im so wichtigen Weihnachtsgeschäft. Während vorausschauende Händler ihren Umsatzrückgang durch ein starkes E-Commerce-Geschäft kompensieren konnten, hat es einigen Unternehmen wie etwa Galeria Karstadt Kaufhof den Boden unter den Füßen weggezogen. Dort betrugen die Online-Umsätze zuletzt nur gut sechs Prozent vom Gesamtumsatz, bei Media Markt & Saturn sind es immerhin 35 Prozent.

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Die aktuelle Pandemie zeigt nochmal eindringlich, was Marktbeobachter schon vielfach prophezeiten: Nur diejenigen Einzelhändler werden langfristig eine Chance haben, die vorausschauend E-Commerce in ihr Geschäftsmodell integrieren bzw. Omni-Channel-Konzepte ausprobieren und sich somit ganzheitlich für die Zukunft aufstellen. Doch wie gelingt dies?

Mit Corporate Venture Building zum eigenen Geschäftsmodell im Bereich E-Commerce

Für Unternehmen ist es essenziell, das existierende Geschäftsmodell kontinuierlich auf die Probe zu stellen und proaktiv neues Geschäftspotenzial zu erschließen. Dazu ist das sogenannte „Corporate Venture Building“ ein entscheidender Baustein. Corporate Venture Building bedeutet, dass Unternehmen strategisch neue interne Einheiten oder externe Ventures aufbauen. Diese können sehr nah am Kerngeschäft sein oder auch völlig neue disruptive Geschäftsmodelle einschließen.

Insbesondere die klassischen etablierten Unternehmen sollten und müssen analysieren, welche neuen Potenziale es beispielsweise im Bereich E-Commerce gibt – abseits der etablierten Geschäftszweige im Offline-Geschäft. Eine Vielzahl von Unternehmen konnte durch den intelligenten Einsatz von Corporate Venture Building langfristig ihre Marktposition im Bereich E-Commerce ausbauen.

Ein bekanntes Beispiel für Corporate Venture Building aus Deutschland ist die Otto Group. Das Unternehmen hat es geschafft, mit About You ein international erfolgreiches E-Commerce-Venture aufzubauen. Ein weiteres Beispiel liefert die Oetker Group. Das Unternehmen hat zuerst eigenständig den Online-Getränkelieferdienst Durstexpress etabliert. Erst kürzlich wurde nun der Marktführer Flaschenpost akquiriert und so ein weiterer entscheidender Schritt in Richtung Online-Geschäft getan.

Um Initiativen wie diese aber erfolgreich und schnell umsetzen zu können, müssen Unternehmen eine Reihe von Dingen beachten.

E-Commerce ganzheitlich und vom Kunden ausgehend denken

Erfolgreiche digitale Innovatoren behandeln die Kundenzufriedenheit als ein primäres Geschäftsziel. Sie schauen darauf, was die Kunden wirklich wollen und überraschen sie positiv mit etwas, das in Erinnerung bleibt. Hohe Investitionen in die Analyse und das Adressieren sogenannter „Pain Points“ sind hier entscheidend.

Dazu braucht es ein gutes Verständnis des gesamtem Kundenerlebnisses über alle Kanäle hinweg. Beispielsweise können Daten und Analysen genutzt werden, um das E-Commerce-Erlebnis mit physischen Geschäften, sozialen Medien, Kundenbetreuung und anderen kundenorientierten Kanälen zu synchronisieren.

Etablierung einer Test- und Lern-Kultur

Ein Eckpfeiler der digitalen Kultur ist die Fähigkeit zur kontinuierlichen Verbesserung, Anpassung und Innovation. Eine Untersuchung von McKinsey konnte zeigen, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen, deren Umsatzwachstum zu den besten zehn Prozent gehört, Ideen effektiver als ihre Branchenkollegen testen, Ergebnisse messen und kontinuierlich Änderungen an ihren Produkten, Dienstleistungen und Arbeitsweisen durchführen.

Für die digitalen Akteure im Einzelhandel bedeutet dies konkret, dass sie die Informationen über das Käuferverhalten – also die unterschiedlichen Kontaktpunkte, Beratungsangebote, Versandoptionen, Bezahlarten und Kommunikationskanäle –fortlaufend analysieren (mindestens wöchentlich!) und anpassen müssen.

Auch müssen digitale Verkäufe vollständig in die übrige Wertschöpfungskette integriert werden. Dadurch sind Unternehmen in der Lage, schnell auf die Nachfrage neuer Kunden zu reagieren, bestehende Angebote anzupassen, neue Produkte und Dienstleistungen einzuführen und sie den Kunden schnell zu liefern.

Neue Trends – vorausschauend integriert und mitgedacht

Beim Aufbau von Geschäftsmodellen im Bereich E-Commerce sollte vorausschauend agiert und neue Trends direkt von Anfang an mitgedacht werden. So kann beispielsweise überlegt werden, Chatbots zu integrieren, um eine bessere Kundenbetreuung zu gewährleisten. Oder Unternehmen können frühzeitig auf eine visuelle Suche setzen, die es Kunden ermöglicht, Produkte sehr intuitiv online zu finden.

Mit den technologischen Entwicklungen der kommenden Jahre – beispielsweise im Bereich KI – werden diese Technologien nochmal auf eine neue Entwicklungsstufe befördert. KI wird mit einem tiefen Verständnis der Verbrauchergewohnheiten dann ein wirklich individuelles, maßgeschneidertes und immersives Einkaufserlebnis möglich machen.

Ein weiterer Trend ist auch weiterhin eine stetige Verkürzung der Lieferzeiten. Amazon und der Berliner Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas machen es inzwischen möglich, dass Kunden ihre Bestellung am selben Tag (Amazon Prime) bzw. sogar schon innerhalb von zehn Minuten erhalten (Gorillas). Mit dieser Marktebnung hat Amazon einen Standard gesetzt, der für Kunden vor allem eine hohe Convenience bedeutet und auf den sie nicht mehr verzichten wollen. Deshalb werden hier neue Logistik-Lösungen für den Einzelhandel entstehen, der einen Gegenpol zu Amazon setzt. Denn für den Einzelhändler bedeutet eine schnelle Lieferung am Ende auch einen klaren USP.

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass es Unternehmen mit Hilfe von Corporate Venture Building gelingen kann, neue Initiativen im Bereich E-Commerce zielgerichtet & proaktiv umzusetzen und sich dabei stetig zukunftsgerichtet zu positionieren. Dabei gibt es zwar vieles zu beachten, doch noch mehr zu gewinnen.

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