Wenden sich die Verbraucher von Amazon ab?

Gefälschte Bewertungen, schlechte Arbeitsbedingungen, neonazistische T-Shirts, Plagiate, die Vernichtung neuwertiger Produkte bei Retouren – die Liste der Kritikpunkte an Amazon ist lang. Reagieren die Verbraucher nun und wenden sich ab?

Einer repräsentativen Umfrage zufolge, die Statista Mitte September im Auftrag des Verbraucherforums mydealz.de unter 1.000 Konsumenten durchgeführt hat, fürchten viele vor allem die Marktmacht des Online-Riesen. 43,7 Prozent der Deutschen bezeichnen diese als bedenklich. 87,4 Prozent von ihnen kaufen deshalb bewusst weniger bei Amazon ein. Und 67,9 Prozent der Deutschen würden die Einführung einer Digitalsteuer nach französischem Vorbild gutheißen.

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Vor allem junge Verbraucher sehen kritisch, dass Amazon enorm viel Marktanteil hat. Bei Verbrauchern im Alter von 16 bis 24 Jahren ist der Argwohn am stärksten ausgeprägt. 46,2 Prozent von ihnen finden Amazons Marktmacht bedenklich und nur 39,3 Prozent unbedenklich. Und auch unter den 25 bis 34-Jährigen gibt es mehr Bedenkenträger (44,4 Prozent) als Verbraucher, die die Situation im Online-Handel nicht als problematisch einstufen (41,7 Prozent). Ähnlich deutlich fällt das Stimmungsbild sonst nur bei älteren Verbrauchern aus. 43,8 Prozent der Konsumenten im Alter von 55 bis 64 Jahren sehen die Konzentration im Online-Handel kritisch, 40 Prozent finden sie nicht problematisch. Und von den über 65-Jährigen sprechen sich 45,2 Prozent klar gegen Amazons starke Marktposition aus, während 39,8 Prozent sie nicht als problematisch empfinden.

Manche Verbraucher misstrauen Amazon

Sieben von zehn Deutschen, die die Marktsituation im deutschen Onlinehandel problematisch sehen, fürchten einen Missbrauch der starken Position von Amazon: 70,7 Prozent haben Bedenken, dass andere Online-Händler unter der Marktmacht leiden. 68,2 Prozent sind besorgt, dass sie selber Nachteile erleiden, und denken, Amazon könne „die Preise so hoch ansetzen, wie sie wollen“, wenn der Wettbewerb fehlt. Und 68 Prozent – Mehrfachantworten waren bei dieser Frage möglich – gaben zu bedenken, dass ein (zu) starkes Amazon Zulieferern die Preise diktieren könne.

Daran, dass Amazon in Deutschland kaum oder keine Steuern zahlt, stören sich 64,5 Prozent der Verbraucher, die Amazons Marktmacht problematisch finden. 62,5 Prozent von ihnen beanstanden, dass Amazon „kein besonders ethischer Arbeitgeber“ sei. Und rund jeder Zweite fürchtet scheinbar, dass auch er beim Einkaufen bald Abstriche machen muss. Als Grund, weshalb sie Amazons Marktmacht bedenklich finden, nannten jedenfalls 48,1 Prozent dieser Befragten: „Als Verbraucher habe ich weniger Auswahl und Möglichkeiten, wenn Händler sterben“.

Warum andere Verbraucher keine Angst haben

40,9 Prozent der Konsumenten hingegen empfinden Amazons Marktposition nicht als problematisch. Von ihnen erklärten 69,2 Prozent, dass es für sie persönlich keine Nachteile gäbe. Sechs von zehn positiver gestimmten Verbrauchern (60,6 Prozent) – auch hier waren Mehrfachantworten möglich – sehen es pragmatisch und denken, Amazon könne nur dank seiner Größe so ein „gutes Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten“. Und rund jeder Zweite (49,4 Prozent) meint durchaus anerkennend: „Der hohe Marktanteil zeigt nur, wie gut Amazon im Vergleich zur Konkurrenz ist“. Jedem vierten Verbraucher (23,7 Prozent) ist hingegen einfach nicht klar, „weshalb Amazons Marktposition schlecht für andere Händler sein sollte“.

Viele Verbraucher haben ihr Einkaufsverhalten angepasst

Wie sehr sich Amazons Dominanz auch ganz konkret auf das Konsumverhalten auswirkt, zeigt ein anderer Teil der Umfrage. Neun von zehn Verbrauchern (87,4 Prozent), die Amazons Marktmacht als problematisch empfinden, haben ihr Einkaufsverhalten bereits entsprechend angepasst. Am stärksten profitiert der klassische Einzelhandel von diesem Trend: Jeder dritte Verbraucher (33,9 Prozent) kauft als Reaktion auf Amazons Dominanz „prinzipiell so viel wie möglich im klassischen Handel“ und jeder Sechste (14,9 Prozent) kauft „prinzipiell so viel wie möglich bei anderen Online-Händlern“.

Nicht alle Verbraucher sind aber so konsequent, dass sie einen möglichst weiten Bogen um Amazon machen. Viele Konsumenten, die Amazons Marktposition bedenklich finden, kaufen nur immer dann bei anderen Händlern ein, wenn sie diese als – zumindest annähernd – gleichwertige Alternative wahrnehmen. Der Preis ist für sie dabei entscheidender als das Angebot und die Lieferzeit. Jeder Fünfte (19,9 Prozent) kauft immer dann bei anderen Händlern ein, wenn der Preis ähnlich günstig ist wie bei Amazon. 14,4 Prozent geben anderen Händlern den Vorrang, wenn sie das gesuchte Produkt vorrätig haben. Und 4,4 Prozent sind bei Konkurrenten unterwegs, wenn diese „ähnlich schnell liefern können“.

Je älter die Verbraucher sind, desto konsequenter wenden sie sich von Amazon ab: Neun von zehn Deutschen im Alter über 65 Jahren, die Amazons starke Marktposition bedenklich finden, lassen sich hiervon in ihrem Einkaufsverhalten beeinflussen. 43,5 Prozent von ihnen kaufen so viel wie möglich im klassischen Handel ein und 14,8 Prozent so viel wie möglich bei anderen Online-Händlern. Anders agieren ganz junge Konsumenten. Von den 16- bis 24-jährigen, die Amazons Marktmacht kritisch sehen, lassen sich „nur“ 77,8 Prozent in ihrem Einkaufsverhalten beeinflussen. Allerdings kaufen nur 3,7 Prozent von ihnen so viel wie möglich bei anderen Online-Shops ein, jeder Dritte (29,6 Prozent) aber so viel möglich im klassischen Handel. Amazon könnte für viele Verbraucher aus dieser Generation zum alternativlosen Synonym für den Online-Handel geworden sein, so die Studienautoren.

Nur jeder dritte Deutsche vertraut Bewertungen bei Amazon

Kritik musste Amazon in den letzten Monaten auch von Verbraucherschützern einstecken. Die britische Verbraucherschutzorganisation Which? deckte beispielsweise im April auf, dass 87 Prozent der Bewertungen bei Amazon nicht glaubwürdig seien. Und obwohl Amazon gekauften Bewertungen inzwischen öffentlichkeitswirksam den Kampf angesagt hat, sitzt das Misstrauen bei vielen Verbrauchern tief. Nur jeder Dritte (34,5 Prozent) vertraut den bei Amazon abrufbaren Kundenstimmen; 65,5 Prozent halten sie indes für nicht vertrauenswürdig.

Etwas positiver fällt das Bild für Amazon nur aus, wenn man sich ansieht, wie viele Verbraucher sich an Kundenbewertungen orientieren. Hier gibt es drei Gruppen: Die kleinste Gruppe ist die der Verbraucher, zu deren Kaufentscheidung Kundenbewertungen „wesentlich“ beitragen. 7,8 Prozent der Verbraucher lassen sich ihr zuordnen. 26,7 Prozent der Verbraucher erklärten bei der mydealz-Umfrage, Kundenbewertungen seien für sie „einer der Faktoren, von denen ich meine Kaufentscheidung abhängig mache“. Und weitere 42,3 Prozent der Verbraucher vertrauen Kundenbewertungen zwar nicht, lesen sie aber immerhin, um einen „ersten Eindruck“ zu erhalten.

Rund jeder Vierte (23,2 Prozent) zieht keinen Mehrwert aus den bei Amazon veröffentlichten Kundenstimmen – und dies aus verschiedenen Gründen: Jeder Achte (12,2 Prozent) vertraut „generell keinen Bewertungen im Internet“. Sechs Prozent der Deutschen vertrauen nur Bewertungen auf Amazon nicht und fünf Prozent haben durch die Skandale der letzten Zeit das Vertrauen in die Kundenstimmen verloren. Unter den 25- bis 34-Jährigen erklärt jeder Zehnte (9,3 Prozent): „Ich habe Bewertungen auf Amazon früher vertraut, aber vertraue ihnen nun nicht mehr“.

Verbraucher im Alter von 16 bis 24 Jahren orientieren sich hingegen besonders stark an den bei Amazon veröffentlichten Bewertungen. Jeder Achte (12,8 Prozent) von ihnen erklärte, sie trügen wesentlich zu seiner Kaufentscheidung bei. Einen ähnlich starken Einfluss haben die Kundenstimmen sonst nur auf die 25- bis 34-jährigen und 35- bis 44-jährigen. Von ihnen lassen sich jeweils 11,3 Prozent wesentlich in ihrer Kaufentscheidung beeinflussen. Für ältere Verbraucher im Alter von 55 bis 64 Jahren und über 65 Jahren sind die bei Amazon veröffentlichen Kundenstimmen hingegen nicht sonderlich relevant. Gerade einmal fünf Prozent beziehungsweise 3,8 Prozent von ihnen erklärten bei der Umfrage, bei Amazon veröffentlichte Bewertungen trügen wesentlich zu ihrer Kaufentscheidung bei.

Über die Studie

Für die Studie haben im September 2019 1.000 Verbraucher folgende Fragen beantwortet: „Amazon hat in Deutschland einen Marktanteil von 45,8 Prozent, wie das Kölner Institut für Handelsforschung berechnet hat. Finden Sie Amazons Marktmacht bedenklich?“, „Sie haben angegeben, dass Sie Amazons Marktmacht bedenklich finden. Welche der folgenden Aussagen ist ein Grund für Ihre Bedenken (Mehrfachantworten möglich)?“, „Bitte teilen Sie uns mit, inwiefern Sie die Marktmacht von Amazon in Ihrem Einkaufsverhalten beeinflusst: Welche der folgenden Aussagen trifft am stärksten auf Sie zu?“, „Sie haben angegeben, dass Sie Amazons Marktmacht nicht bedenklich finden. Bitte wählen Sie alle Aussagen aus, die Ihrer Meinung nach zutreffen (Mehrfachantworten möglich)?“ sowie „In Frankreich müssen Konzerne wie Amazon, Apple, Facebook und Google zukünftig eine extra Digitalsteuer auf ihre Einnahmen zahlen. Denken Sie, Deutschland sollte auch eine solche Steuer für ausländische Internetkonzerne einführen?“ und „Vertrauen Sie Bewertungen auf Amazon?“. Gearbeitet wurde mit einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe, die mittels fester Quoten bezüglich des Geschlechts, Alters und der Region gebildet wurde.

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